ChatGPT ist derzeit in aller Munde. Die Einsatzmöglichkeiten von KI im Besetzungsprozess, um mit einem Mausklick relevante Informationen über Kandidaten zu erhalten und sich das lästige Lesen von Lebensläufen und Zeugnissen bzw. die aufwendige Recherche im Internet zu sparen, reizen und machen neugierig. Gerade bei hochkarätigen Besetzungsprozessen auf Geschäftsführungs- bzw. Vorstandsebene, die häufig mit Hilfe von Personalberatern professionell begleitet werden, ist die Nutzung von KI-Tools ein gefährliches Unterfangen.
In meiner Beratungspraxis beobachte ich mit Sorge, dass Mandanten von der Neugierde getrieben oder einfach, um die Angaben der Kandidaten in Eigenregie zu prüfen, gerne selbst in die Recherche gehen. ChatGPT scheint auf den ersten Blick eine schnelle und unkomplizierte Quelle zu sein, die in der Pro-Version auch Erkenntnisse über Vorlieben, Nutzerverhalten und Wahrnehmung von Kandidaten in der Öffentlichkeit liefern kann. Das so erstellte Profil des Kandidaten kann dann in den persönlichen Gesprächen schnell zu einer Vorbeurteilung führen, von der der Kandidat oft keine Ahnung hat. Als Personalberater können wir hiervor nur warnen.
Garbage in, Garbage out: Die KI kann nur so gut sein wie die Daten, mit denen sie gefüttert wird. Wenn die Datenbasis bereits Verzerrungen enthält, wird die Datenauswertung dadurch nicht besser. Der Algorithmus zieht sich häufig wahllos Informationen aus dem Netz und unterscheidet nicht immer, ob es Namensdopplungen gibt. Daraus wird dann ein Bild skizziert, das nicht unbedingt viel mit der Realität zu tun hat.
Transparenz und Fairness: Die Nutzung von KI-Tools muss Kandidaten zwingend angezeigt werden, da es sich um personengeschützte Daten handelt. Der Personalberater unterliegt beim Ausüben seines Mandats den Grundsätzen der DSGVO-Verordnung. Zieht der Klient weitere Datenquellen systematisch und mit dem Kandidaten unabgestimmt zur Bewertung von Kandidaten im Prozess hinzu, wird dieser Grundsatz verletzt und kann neben einem erheblichen Reputationsschaden auch nachträglich zu erheblichen Schadensersatzklagen für Berater und Klient führen.
Einsatz von diagnostischen Potentialanalysen: In der Praxis ist es gang und gäbe auch für Top-Managementpositionen ein diagnostisches Beurteilungsverfahren einzusetzen. Sie dienen zur Einschätzung von zukünftigen und aktuellen Kompetenzen der Kandidaten, abgestimmt auf die jeweilige Führungsrolle und den gewünschten Verantwortungsrahmen. Mit der Zustimmung der Kandidaten an der Teilnahme sind die Bestimmungen des Datenschutzes vollumfänglich erfüllt.
Mein Fazit: Nichts ersetzt das authentische, persönliche und vertrauensvolle Gespräch zwischen Kandidaten und Klient. Je stärker im Vorfeld mithilfe künstlicher Intelligenz eingegriffen wird, desto stärker wird das Vertrauen aufgeweicht und die eigene Bewertungskompetenz getrübt. Keine gute Basis für eine von Erfolg gekrönte Zusammenarbeit und besonders schlimm für Unternehmen, die in Zeiten von nachhaltiger Führung besonders stolz auf ihren Wertekanon sind.
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